Ich frage mich bis heute an vielen Stellen, wie mein Gehirn verschaltet ist. Okay, fragen sich wahrscheinlich mehr Menschen, die mich kennen. Vermutlich mit Recht und das auch nicht erst seit gestern. Aber ich meine jetzt was anderes: Wann immer ich irgendwas an einem Tag mit Berlin zu tun habe, drängt sich ein mindestens einmal pro Tag und für ganz kurze Zeit ein aus meiner heutigen Perspektive ganz und gar schreckliches Lied in den Kopf.

Ich kann es nicht abstellen. Konnte ich nie. Bis ich den Gedanken wieder verscheucht habe, dauert es kaum eine Sekunde, daber das reicht, um den Titel im Kopf zu haben. Allerdings war diesem Lied eine zeitlang genau schwer auszuweichen wie Mariah Carey zu Weihnachten, so das die Erinnerung genauso erklaerbar ist wie der Gedanke an den Underberg-Werbespot. Ich weiss nicht ob sich noch hier jemand an das Lied “Berlin!Berlin!” von den Gropiuslerchen erinnert. Falls ja, gern geschehen für das zwangsläufige “Berlin!Berlin!” im Kopf.

Ich empfehle übrigens als Antidot für dieses Ohrengift (wie gesagt … heutige perspektive) die ganz und gar grossartige und wunderbare A Cappella Version des Endcreditssongs des Films “Oblivion”. Das Original wird eigentlich von Susanne Sundfør gesungen, welche eine grossartige Sängerin und schwer zu überbieten ist … aus meiner Sicht. Aber diese Version hat wirklich etwas. Insbesondere weil das “Higher and higher and higher” hier weniger als Fremdkörper wirkt.

Aber eigentlich geht es um etwas anderes: Es geht um die dritte Radreise im letzten Urlaub. Dritte? Wo ist der Bericht über die zweite? Naja. Der ist noch auf meinem Rechner. Es gibt gute Gründe, noch einige Dinge vorher zu erledigen. Bevor ich einen Einblick in meine Jugend gebe. Denn letztlich war die zweite Radreise eine Fahrt durch meine Vergangenheit.

Vergangene Zeit

Vergangenheit ist ein gutes Stichwort: Ich habe immer noch einen Feedreader laufen. Es dient dazu RSS-Feeds von Webseiten zu lesen. Anstatt sich die Artikel aktiv anzuschauen, werden erscheinen sie im RSS-Feed, der Reeder pollt den regelmässig und ich bekomme dann irgendwann mit, das da etwas neues geschrieben wurde. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, ob es noch so viele Menschen gibt, die diese Tools verwenden. Ich lese immer noch gerne damit. Es gab mal ne Zeit, in der es ziemlicher Diskussiongegenstand war, welchen Feedreeder man nun nutzt.

Was mir vor einigen Tagen via Feedreeder auf den Rechner gespuelt wurde:Ein Blog, das ich seit vielen Jahren lese (eben via Feedreader) , ist vor kurzem 18 geworden. Wow, das hätte ich jetzt echt nicht gedacht. Ich wünsche dem Blog alles Gute zum Geburtstag und zur Volljährigkeit.

Ich habe bei der Gelegenheit übrigens festgestellt, das ich im Juli 2004 das erste mal etwas auf mein Blog gestellt habe. c0t0d0s0.org ist also dieses Jahr 20 Jahre alt geworden. Ich habe also den 20igsten Geburtstag meines Blogs verpasst. Tut mir leid, Blog! Deinen 25igsten Geburstag werde ich nicht vergessen.

Der nächste Plan

Okay, zurück zu meinem Urlaub. Nachdem die grosse Reise ja dank der Bahn bereits in Lüneburg ihr Ende gefunden hat und ich in der zweiten Woche meines Urlaubs nach Fehmarn und in der dritten Woche von Emden nach Lüneburg gefahren bin, brauchte ich eine Idee für die dritte Woche.

Es stand kurz im Raum, noch irgendwo hinzufliege. Hätte ich machen sollen, wäre einiges anders gelaufen. Aber am Ende setzte sich dann doch die Idee durch, mit der Bahn einfach nach Berlin zu reisen, um dann mit dem Fahrrad zurück zu fahren.

Noch weiter in die Vergangenheit

Als ich die Idee mit Berlin hatte, habe ich mich fast sofort über 40 Jahre zurück versetzt gefühlt. Samstags, mit Flips und Chips mit meinen Eltern vorm Fernseher sitzend. Gemeinsam mit meinen Geschwistern “Wetten Das” guckend. Ich weiss wirklich nicht, warum ich mich an so einen Unsinn erinnere. Aber Dieter Thomas Heck hat mal eine Wette verloren. Sein Wetteinsatz war die Fahrt mit dem Fahrrad nach Berlin zur IFA.

Ich kann mich noch dran erinnern, das er damals den Wetteinsatz nicht so richtig einlösen konnte. 1983 waren die Transitwege nach Berlin alle zumindestens teilweise Autobahnen, konnten also nicht mit dem Fahrrad befahren werden. Ich kann mich noch an den Bericht zur Wettschuldeinlösung erinnern. Er hat damals ein Rad in einen Bus eingebauen lassen. Der Bus fuhr dann nach Berlin auf der Autobahn und Herr Heck im Bus auf dem Rad. So wurde der Herr Heck dann doch nicht zum Wettschuldpreller.

Es war bis 1981 übrigens tatsächlich möglich mit dem Fahrrad über den Grenzübergang Lauenburg über die B5(F5 in der DDR) mit dem Fahrrad nach Berlin zu fahren. Wenn man das in einer Nacht ohne Übernachtung schaffen konnte, wurde das toleriert. Wenn man nach Anbruch des Tages in die DDR eingereist ist und vor Einbruch der Dunkelheit in Berlin angekommen ist. Oder umgekehrt. Das ging aber auch nur so lange diese Transitstrecke keine Autobahn war und daher war es 1981 damit einfach vorbei. Danach war das Kraftfahrzeug pflicht.

So gesehen wäre mein Plan vor 1989 nicht möglich gewesen. Aber ehrlich … vor 1989 hatte ich andere Gedanken, als mit dem Rad nach Berlin zu fahren.

Die genutzte Gelegenheit

Momentan ist die Fahrt für Lüneburger nach Berlin bedeutend bequemer als sonst. Die Bahnstrecke zwischen Hamburg und Berlin ist noch bis zum Ende des Jahres gesperrt. Es wird die Strecke gerade auf Stand gebracht.

Somit fahren momentan sämtliche Züge nach Berlin zunächst über Lüneburg, um dann über Uelzen, Salzwedel und Stendal schlussendlich in Berlin anzukommen (um dann weiterzufahren). Das heisst, es gibt momentan jede Menge Verbindungen ohne Umstieg nach Berlin und wieder zurück. Leider ist das nur in Ausnahmefällen so. Lüneburg ist ja ein wenig blöd gelegen. Man merkt hier immer noch ein wenig den Zonenrand. Mit dem Auto muss ich zur Autobahnauffahrt Zarrentin fahren, mit der Bahn entweder nach Hamburg oder nach Büchen. Und das ist doch ein Umweg.

Es hätte anders sein können. Es gab wohl mal die Idee, nicht die heutige Strecke über Wittenberge auszubauen, sondern jene, die heute ersatzweise genutzt wird. Jene über Salzwedel und Stendal. Wobei die Strecke zwischen Hamburg und Uelzen heute schon überlastet ist. Wenn ich mir vorstelle, das da noch der ganze Berlin-Hamburg-Verkehr hätte durchgehen müssen, fehlt mir eine Idee, wie schlimm es dann jetzt auf der Strecke wäre. Ich verstehe, warum man dies nicht gemacht hat. Schade finde ich es trotzdem.

Für mich wäre das deutlich bequemer gewesen. Ist aber nicht so gekommen. Weil ich beruflich viel mit Kunden in Berlin zu tun habe, ist das zuweilen momentan alles etwas unpraktisch. Ich denke momentan unter anderem auch deswegen darüber nach, ob es nicht intelligent wäre, wieder nach Hamburg zu ziehen.

Es gab mal einen Eurocity über Lüneburg und dann Potsdam, der in den Tagesrandlagen fuhr. Der war für mich für ein knappes Jahr essentiell, weil ich am Anfang meiner Karriere bei Sun sehr oft in Potsdam war. Dieser EC Wawel hat mittlerweile einen ganz anderen Zuglauf, er kommt nicht mal mehr bis nach Hamburg. Und Potsdam war schon vorher kein Halt mehr. Aber ich erinnere mich genauso gut an diesen, wie an die recht plüschige ungarische Wagengarnitur, die ebenfalls zwischen Hamburg und Berlin verkehrte, da sie Teil des Zuglaufs von Budapest Keleti nach Hamburg-Altona (und umgekehrt war). Dieser Zug führte übrigens zu einem Schmunzeln als ich mit meiner damaligen Partnerin in Nove Zâmky stand (wir besuchten ihre Familie) und auf dem Zuganzeiger Hamburg-Altona erschien. Manchmal scheint es nicht nur so, das alle Wege nach Rom führen, sondern immer auch ein paar nach Hamburg-Altona. Egal wie weit man von Hamburg weg ist.

Wie auch immer, momentan ist es superbequem nach Berlin zu kommen. Und ich wollte das nutzen, bevor wieder alles Richtung Berlin so weit an mir vorbei fährt.

Planung

Ich habe dann sehr kurzfristig eine Strecke von Berlin nach Lüneburg geplant, mein Gepäck wieder ans Fahrrad gehängt und habe mich auf den Weg nach Berlin gemacht. Viel zu viel Gepäck wieder. Aber es war halt auch ein weiteres Training für die grosse Radreise.

Ich weiss, das es Leute gibt, die sich entschliessen nach Berlin zu fahren und die dann 10 bis 12 Stunden lang auf dem Rad sitzen und das an einem Stück fahren. Aber ich wollte mich nicht hetzen und habe mich entschieden, irgendwo in der Mitte zu übernachten. Ein Hotel war schnell gefunden. In Havelberg, einer Hansestadt an der Elbe. Okay, das war zwar nicht ganz die Mitte der Strecke, aber nah genug dran.

Die Idee war eine relativ gradlinige Routenführung. Die Elbe behindert das ein wenig, die Topographie des Geländes auch. Aber die Strecke ist zumindestens so halbwegs umwegfrei. Die geplante Streckenführung war Berlin-Nauen-Rhinow-Havelberg-Fähre und dann schnurstracks nach Gartow-Dannenberg-Lüneburg. Also wirklich relativ direkte Steckenführung. Es kam dann doch etwas anderes. Die Elbe spielte dabei eine entscheidende Rolle.

Warten

Apropos Rolle. Ich rollte also wieder den Hügel Richtung Bahnhof Lüneburg runter. Ich muss mehr oder weniger das Rad von meinem Haus nur einmal etwas kräftiger mit den Pedalen anschubsen und kann das Rad dann einfach laufen lassen. Naja fast … kommt etwas auf den Wind an. Am Bahnhof angekommen, wäre ich beinahe in den falschen Zug gestiegen. Auf meinem Gleis stand ein Zug, der nach München fahren sollte. Aber im letzten Moment habe ich noch mal auf die Zugnummer geguckt. Äh. Passt nicht. Häh?

Nun, Von Hamburg aus gibt es zwei Wege nach München zu kommen, einer über die normale Schnellfahrstrecke Hannover-Würzburg und einen über Berlin. Wie gesagt, Zugnummer passte nicht und als ich richtig genau geguckt habe, stimmte auch der Zuglauf nicht. Aber … was macht dieser Zug auf meinem Gleis? Und wenn dieser Zug hier ist, wo ist dann mein Zug?

Ein rauchender Fahrgast hat dann wohl meine Fragezeichen im Auge gesehen und meinte nur, das der Zug da schon eine Weile stehen würde. Ein Signalschaden bei Bienenbüttel hat den Zug dort stranden lassen. Kurze Zeit später kam dann die Durchsage, das „mein“ Zug mit Zwischenstation Berlin und Endstation München auf einem anderen Gleis einfahren würde. Ich musste also doch in den Fahrstuhl, einmal runter, einmal rauf. Ich hatte mich eigentlich sehr darüber gefreut, das ich von dem Gleis abfahren würde, welches von den Ferngleisen eben keine Fahrstuhlfahrt benötigen würde.

Ich habe mir völlig unnötig Stress gemacht beim Gleiswechsel gemacht. Ich wollte nach der Durchsage so schnell wie möglich bei meinem Zug sein. Allerdings würde erst mal für weitere geraume Zeit nichts abfahren.

Bahnhof Lueneburg Der auf dem anderen Gleis wartende Zug

Genauso wenig, wie der eine Zug weiterfahren konnte, konnten wir es. Beide Züge fahren erst hinter Uelzen nicht auf dem selben Schienenweg. Bienenbüttel (manchen vielleicht noch als Quelle des EHEC-Problems bekannt) liegt davor. Also warten. Es hat dann noch tatsächlich gefühlt eine halbe Stunde gedauert (oder zwei Zigaretten eines anderen Fahrgasts) , bis sich der Zug endlich in Bewegung gesetzt hat. Der andere Zug musste erst mal weg. Und es hatte sich wohl ein aus Güterzügen bestehender Pfropfen südlich von Lüneburg gebildet, der erst mal aufgelöst werden musste.

Haengendes Rad Das Rad … noch nicht ganz von allen Lasten befreit

Der Vorteil war aber, das ich so in aller Ruhe mein Fahrrad unterbringen konnte. Diesmal war ich gezwungen mein Fahrrad aufzuhängen. Ich weiss immer noch nicht, ob meine Felgen dafür eigentlich zugelassen sind, aber um so wenig Gewicht wie möglich wirken zu lassen, war meine erste Amtshandlung im Zug die Demontage sämtlichen zusätzlichen Gewichts: Gepäck, Wasser, Rangextender. Kurz vor Spandau habe ich dann angefangen, das Rad abzuhängen und alles wieder am Rad anzubringen.

Unfreundlichkeit

Man sagt ja, das Berlinern eine Gewisse Unfreundlichkeit innewohnt. Ich habe an einigen Stellen gelesen, das der Berliner sich nicht für unfreundlich hält, sondern einfach nur für ehrlich.

Ich bin ziemlich sicher, das man auch ehrlich sein kann, ohne unfreundlich zu sein. Diplomatisch halt. Quasi den Kettenhandschuh, nur halt mit einem Seidenhandschuh darüber gezogen. Okay, man merkt vielleicht bei nur wenn man mich kennt, das ich gerade stinksauer oder enttäuscht oder beleidigt bin. Aber zumindestens gegenüber Fremden kann man sich denke ich einer gewissen Diplomatie bedienen.

Ich halte die Unfreundlichkeit in vielen Bereichen auch für ein Vorurteil. Ich weiss das das ein grosses Vorurteil ist. Ich kenne viel zuviele Leute in Berlin, die diesem Vorurteil nicht entsprechen.

Das Blöde ist immer nur: Für jeden Menschen, den ich in Berlin kennenlerne, den ich für sehr freundlich halte, begegne ich auf meinen Reisen einem Menschen, der genau das Gegenteil darstellt.

Dem superfreundlichen Taxifahrer, der auch klischeegerecht zuviel quatscht (wobei das für einen Norddeutschen nicht unbedingt bedeutet, das die Wortanzahl extrem hoch ist) folgt eine der unfreundlichsten Bäckereifachverkäuferinnen westlich des Äquators. Vielleicht sehe ich auf meinen Wegen nur die Extreme der Glockenkurve oder diese Stadt ist wirklich so. Extrem. In allen Dingen. Wobei der weitaus groesste Teil geht wie in jeder Stadt einfach seiner Dinge nachgeht. Vielleicht habe ich da immer auch nur Pech.

Warum ich das anspreche? Weil ich dem Unfreunlichkeits-Extrem begegnet bin auf dieser Fahrt. Weil ich der Meinung bin, das man als etwa 30-40 Jährigen nicht einen etwa 60-jährigen nicht mit “Hey Meister, das ist mein Rad” anspricht, wenn dieser sein Rad leicht verschieben muss, um an sein eigenes zu kommen. Diese ganze Diskussion zwischen den Beiden, die seitens des 30-40-jährigen im Grunde nur aus einer Kette von Herabwürdigungen und Unfreundlichkeiten bestand, war unnötig. Ich glaube man hätte das auch mit “Entschuldigen Sie, das ist mein Rad, kann ich es kurz wegräumen” wesentliche effektiver führen können. Aber nein … die Diskussion musste “ehrlich” ablaufen.

So besonders war das Rad dieses Exemplars von Mitfahrer auch nicht. Ein Klapprad. Das Rad des 60-jährigen war mit Sicherheit teurer. Das sein Rad als Handgepäck zählt, und daher nicht im Weg stehen darf, war ihm eher weniger nahezubringen. Er verlies in Spandau den Zug. Weiter Kommentare von sich werfend. Weder einfach mal freundlicher sein noch einfach mal die Sache gut sein zu lassen, war diesem Menschen möglich.

Mich ärgert so ein Verhalten einfach masslos. Wobei … wahrscheinlich war dieses Treffen einfach notwendig, damit ich einen genügenden Karmakontostand hatte, um einer wirklich freundlichen Tankstellenkraft zu begegnen,als ich meine Kaltwasservorräte ergänzt habe, die mich interessiert gefragt hatte, wohin ich fahren würde, als ich in Textmarkergelber Jacke, mit Helm und Fahrradbibshorts die Tankstelle betrat und selber lachen musste nach ihrer Frage, ob ich auch getankt hätte. Schön zu sehen, das nicht nur ich im Job zuweilen im Tran bin.

Berlin

Irgendwann bin ich dann auch endlich am Berliner Hauptbahnhof angekommen. Trotz Signalstörung. Etwa eine Stunde später als geplant. Die Züge aus Hamburg kommen am Tiefbahnhof an, also erst mal den Fahrstuhl suchen, der sich gefühlt am völlig anderen Ende des Bahnhofs befand, obschon es nur das völlig andere Ende des Gleises war. Wobei, es gibt glaube ich gar keinen Bahnsteig in Berlin, für den man nicht eine Treppe oder einen Fahrstuhl benutzen muss, um im Erdgeschoss aus dem Bahnhof zu kommen.

Dach Berlin HBf Dachkonstruktion des Berliner Hauptbahnhof

Der Berliner Hauptbahnhof war wuselig wie immer und irgendwann stand ich dann auf dem Bahnhofsvorplatz. Jene Seite, die dem Kanzleramt zugewendet ist. Wäre ich auf der anderen Seite aus dem Bahnhof gegangen, hätte ich sagen können, ich wäre von der Berliner Geschäftsstelle von Oracle nach Hause gefahren. An dem Tag wäre sogar eine Konferenz gewesen, auf der ich hätte sein müssen, hätte ich nicht urlaub gehabt. So fehlen mir da jetzt ein Paar Meter dafür.

Bahnhofsvorplatz Bahnhofsvorplatz

Ich muss ja zu meiner Schande gestehen, das ich dann erst mal eine völlig touristische Strecke gefahren bin. Kanzleramt. Reichstag. Brandenburger Tor. Nochmal Reichstag. Haus der Kulturen der Welt. Schloss Bellevue. Siegessäule. Halt so alles, was man Berlin so per default gesehen haben sollte.

Ich bin hier zwar schon mehrfach gewesen. Ich bin auch schon mal von einen Kunden in der Nähe des Potsdamer Platz zum Hauptbahnhof gelaufen, weil mich meine Zugbindung noch über geraume Zeit in Berlin festhalten sollte und habe zu Fuss einige der Orte schon vorher besucht. Aber mit dem Rad noch nicht. Been there, done that. Aber ich muss dazu auch sagen: Ich bin da nur lang gefahren, weil ich schon mal da war und so sagen kann, ich war mit dem Rad beim Brandenburger Tor.

Berlin ist an vielen Stellen doch so ganz anders als Hamburg. Ein Beispiel: Es gibt ja in Hamburg keine wirklich lange Strasse, die über eine lange Strecke mehr oder minder einfach gerade aus führt. Alles ist irgendwie kurvig oder endet recht schnell. In Berlin schon. In Berlin kann man erst mal 10km eine furchtbar gerade Strecke fahren. Man ist in der Stadtmitte, fährt fast schnurgerade und ist fast am Stadtrand. 10 km klingen jetzt vielleicht nicht nach wirklich viel. Aber ich habe recht lange aus Berlin heraus gebraucht.

Es waren die vielen Ampeln, die mich gebremst haben. Aber auch viele Querstrassen, bei denen ich einfach nicht das Vertrauen hatte, mit voller Geschwindigkeit vorbeizufahren. Aus Angst, das da gleich jemand ohne zu gucken, herausfahren würde. Und dann nur entschuldigend wieder die Hand heben würde. Eine Geste bei der ich mir mittlerweile unsicher bin, ob es wirklich eine Entschuldigung ist oder ein etwas getarntes „Sprich mit der Hand!“. Ich versuche in den Momenten nach dem ersten Schreckt die Gesichter zu sehen und zu enträtseln. Und ich bin mir uneins. Die gehobene Hand bringt mir wenig, wenn ich auf der Motorhaube meine Knochen sortiere. Mal abgesehen vom Blechschaden, den ich erzeugen dürfte.

Man mag da über die Hinweisschilder in Lüneburg lächeln, die einem anzeigen, ob man zu schnell oder zu langsam ist, um die nächste Fahrradfahrerampel bei Grün zu erreichen. Aber sie funktionieren. Und sie sind nicht einmal schwer zu verstehen, auch wenn deutscher “Comedian” mit seiner Sendung, die nur darauf aus ist, alles schlecht zu reden, da etwas anderes suggeriert hat. Wie gesagt, sie funktionieren gut. Oder die grünen LED vor der Universität in Oldenburg, die einem Anzeigen, ob man die nächste Ampel bei Grün erreichen wird. Die haben auch wunderbar funktioniert. Sowas hätte ich mir auf dieser langen geraden Strasse in Berlin auch gewünscht.

So richtig genervt hat mich aber auf der Strecke in Berlin etwas anderes: Irgendwas klapperte. Es klapperte wie eine Kette. Aber auch nur irgendwie. Bei jedem Halt an einer Ampel, gucke ich das Rad runter. Am Rad zurück. Das merkwürdige war nur: Ich hatte gar keine Kette dabei. Wieso klapperte es dann aber so. Ich habe etwas gebraucht, um das Rätsel zu lösen. Eine EBike-Fahrerin hinter mir konnte ganz gut mithalten. Und die hatte in ihrem Fahrradkorb eine Kette. Ach verdammt. Da hätte ich auch eher drauf kommen können.

Olympiastadion Olympiastadion

So oft man auch einer Stadt ist, so sieht man, wenn man geschäftlich unterwegs ist, oft einen ganz anderen Teil einer Stadt. Ich war in einigen europäischen Städten. Wäre ich nicht zufälligerweise in einem Hotel in Bergen mitten in der Stadt auf einer Geschäftsreise angekommen, wäre ich vermutlich niemals einige Monate später noch einmal privat dort hingefahren.

Ich war vier mal in Madrid, aber ich habe nur Bürotürme gesehen. Ähnliches gilt für Berlin. So oft ich auch schon in Berlin war, zum Olympiastadion habe ich es nie geschafft. Bin nie auch nur in die Nähe gekommen. Im Tempodrom war ich mal. Peter Gabriel Konzert anfang dieses Jahrtausends.

Ich war eigentlich an dem Schild „Olympiastadion“ mit dem Rad vorbeigerauscht. Ich wollte ja noch nach Havelberg. Ich habe mich aber nach 100 Metern eines Besseren besonnen. Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir das wenigstens mal angucken. So richtig nah rangekommen bin ich nicht wirklich, ein Zaun stand im Weg.

Der Witz war: Eine Woche und einen Tag später hatte ich einen Termin in Berlin. Ich habe die gleiche Zugverbindung für den Hinweg genutzt. Diesmal war sie pünktlich. Nun ja, so gut wie pünktlich. Die S-Bahn vom Bahnhof führt mich dann aber gerade an jenem Olympiastadion vorbei, das ich die Woche vorher das erste mal gesehen habe. Das passiert mir irgendwie sehr oft. An einem Ort über Jahrzehnte nie gewesen und dann aus Zufall in kurzer Zeit öfters.

Ein Extremfall einer solchen Situationist mir vor 13 Jahren passiert. Vor vielen Jahren habe ich einen Menschen, der in Bad Bevensen wohnte, kennengelernt. Zu einem Zeitpunkt, als ich noch in Hamburg lebte. Als ich irgendwann mal nach Hamburg zurückfuhr, musste ich ich ganz dringend tanken. Ich war echt schon ein wenig panisch, weil die Tankstellen teilweise nicht mehr oder noch nicht offen hatten. Es war halt sehr früh morgens. Ich bin dann zu einer Tankstelle in Lüneburg gefahren. Sonst wäre ich irgendwo zwischen Lüneburg und Hamburg ausgerollt. Ich sehe heute das blaue Glimmen dieser Tankstelle aus meiner Wohnung heraus.

Haengendes Rad Berlin zu Ende …

Zurück zu meiner Fahrt: Irgendwann hatte ich dann auch endlich den Stadtrand erreicht. Ich fand die Luft in der Stadt anstrengend. Durch Hamburg zu fahren fühlt sich auch bei der Atmung anders an. Vielleicht hilft einfach der grosse Fluss, der grosse See mitten in der Stadt, das Klima völlig anders zu gestalten. Ich habe grosse Hochachtung vor jenen Menschen, die da letztes Wochenende 42 km gelaufen sind. Ich glaube Berlin wäre für mich kein Ort an dem ich Leben wollen würde. Es gibt viele Gründe dafür, aber die Luft in der Stadt ist einer der Gründe dafür.

Also ging es weiter. Immer dem Stadtrand entgegen. Ich finde dieses Bild eigentlich ganz bezeichnend. So kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit. Hier war einmal der Grenzübergang Staaken. Es erinnert heute nur noch ein Schild daran und mehrere Hinweistafeln. Wo einmal schon die DDR war, steht heute ein Supermarkt. Ohne das Hinweisschild hätte ich vermutlich nicht einmal gewusst, das an dieser Stelle mal Berlin aus meiner westdeutschen Sicht beendet war. Vielleicht ein gutes Beispiel, wieviel sich eigentlich verändert hat.

Staaken Ehemaliger Grenzübergang Staaken

Interessanterweise waren die Gedenktafeln zum Grenzübergang nicht dort, wo auch Berlin endete. Ich hätte eigentlich damit gerechnet, das an der ehemaligen Grenze auch das Berliner Stadtgebiet endet. Aber dazwischen war gefühlt doch mindestens ein Kilometer. Die Geschichte dahinter ist wohl, das durch Vereinbarung der Sowjets und Briten der westliche Teil Staakens der sowjetischen Besatzungszone zugeschlagen wurde, die Briten dafür aber andere Gebiete bekommen haben. Es ging um die Benutzbarkeit des Flugplatzes Gatow. Im Rahmen der Wiedervereinigung kam dann West-Staaken dann wieder in den Bezirk Spandau und wurde somit Teil von Berlin. Quelle ist hier auch wieder die Wikipedia

Out of Berlin.

Es ging dann Kilometer für Kilometer Richtung Nordwesten, denn Lüneburg ist schon ein Stück nördlich von Berlin. Die Strecke führte mich über einen Radweg, der durch ein Outletcenter ging. Das habe ich mich aber nicht getraut und bin stattdessen einfach hinter den Outletstores lang gefahren. Ich gebe mich keinen Illusionen hin, wieviel Menschen,die mit Shopping beschäftigt sind, von der Welt mitbekommen. Ich halte es für unwahrscheinlich, das sie mit einem Rennradfahrer rechnen, der da mit 30 km/h durchbrackert.

Ich verirrte mich hinter einen Supermarkt und stand vor einem Kühllaster, weil ich zunächst nicht glauben wollte, das ich auf einer Bundesstrasse auf der Fahrbahn fahren musste und die Beschilderung etwas verwirrend war. Erst als ich eine Radfahrerin die Strasse entlang fahren sah, habe ich mich dem Schicksal ergeben und bin die Bundesstrasse gefahren.

Ich wurde auf dem Fahrradweg von einem Kommunalfahrzeug wegehupt. Ich dachte ich wäre auf weitem Feld alleine dort, und plötzlich „MOOOEEEP“. Ich bin zumindestens froh, das ich im Glauben unbeobachtet zu sein, wenigstens nicht angefangen habe auf dem Rad Luftgitarre zu spielen oder zu singen. Denn so einsam war es auf den Strecken die meiste Zei. Das es niemanden aufgefallen wäre. Ausser eben der Besatzung dieses Kommunalfahrzeuges.

Sonne

Ich fand den ersten Tag enorm anstrengend. Es war sehr sonnig und nur mit zunehmender Entfernung von Berlin schienen die Bäume an beiden Strassenseiten und damit der Schatten zahlreicher zu werden. Meine eigentlich minimale Anpassungsreaktion an die Sonne in Form von leichter Verdunklung des Hauttons hat dadurch für meine Verhältnisse einen erstaunlich hohen Grad angenommen. Es war weitestgehend blauer Himmel, nur vereinzelte Wolken in der Ferne. Das Blaue über mir durchbrochen von gelegentlichen Kondensstreifen von Flugzeugen mit Leuten, die ihre Ziele sehr viel schneller erreichten als ich.

Kaputt

In Brädikow fand ich eine eine Merkwürdigkeit. Einen Kirchturm. Und zwar nur einen Kirchturm. Ein Kirchturm an sich ist ja nichts besonderes. Aber der Rest fehlte. Es gibt viele Kirchen, die keinen Kirchturm haben. Bei der Dorfkirche in Brädikow ist das Gegenteil der Fall. Hier gibt es eine Kirche mit Turm aber ohne Saal. Die Kirche war in den 70er Jahren in so schlechtem Zustand, das der Saal abgerissen werden musste, der Kirchturm aber stehen blieb. Die Kirche ist wohl bis heute noch aktiv, der Turm unter Denkmalschutz.

Beim Versuch diese Kirche zu photographieren, entstand übrigens ein wenig schmeichelhaftes Photo. Nicht absichtlich. Ich hatte versehentlich auf die Selfiekamera geschaltet. Die Wärme des Tages hatte da schon ein wenig Tribut gefordert. Die ersten Gedanken in Richtung „Warum tue ich mir das eigentlich an?“ kamen auf. Wo ist eigentlich der nächste Bahnhof? Am Ende fährt man dann doch weiter.

Immerhin zeigt das Fahrradnavi auch irgendwann an, das man jetzt ja die halbe Strecke schon gefahren ist. Das jetzt mehr Kilometer hinter einem als vor einem liegen. Das macht es bei über 100 km Gesamtstrecke nicht deutlich besser, weil die Hälfte davon auch noch nen Stück ist, aber irgendwie fühlt es sich wie einen Hügel runterfahren an. Ich erspar Euch trotzdem mal dieses Photo. Die Freude über die Mitte der Strecke hielt sich in nicht dokumentationswürdigen Grenzen.

Haengendes Rad Die Mitte

Fliegen

Kurz hinter Brädikow befand sich auf meiner Strecke ein Ort, der für die Weltgeschichte große Bedeutung hat, aber im Grunde genommen nur ein Dorf in der Mitte vom Nirgendwo ist: Stölln. Es ist wirklich ein kleiner Ort. Nicht viel mehr als 300 Einwohner. Aber in der Nähe von Stölln ist der Gollenberg. Und an diesem Berg hat Otto Lilienthal seine Flugversuche gemacht. Am Gollenberg ist er letztlich auch verunglückt.

Haengendes Rad Kunstwerk “Ikarus”

Ich dachte immer, Lilienthal hätte seine Versuche deutlich näher an Berlin gemacht. In einigen Büchern, die ich als Kind gelesen habe, stand immer „bei Berlin“. Nunja. Das „Bei Berlin“ würde ich so nicht stehen lassen wollen. Aus Sicht eines Hamburgers vielleicht eher: „So grobe Richtung Berlin“.

Haengendes Rad Gleiter vom Typ Stölln

Lilienthal ist nach seinem Unfall in ein Krankenhaus in Berlin gebracht worden, wo er letztlich auch gestorben ist. Die Strecke muss eine Tortour gewesen sein zu damaligen Zeiten. Er hatte zwar nachgewiesen, das auch „Fliegen schwerer als Luft“ möglich ist, aber bis zum Rettungshubschrauber sollten noch einiges an Jahre vergehen. Wobei der Erstflug eines praktisch benutzbaren Hubschraubers näher am Flug von Lilienthal liegt als am heutigen Tag. Lilienthal wurde letztlich mit einem Güterwagon liegend nach Berlin transportiert.

Das Dorf bezieht sich in vielen Dingen auf diese Geschehnisse. In der Dorfmitte sind zwei mehrstöckige Mehrfamilienhäuser, die so gar nicht ins Dorf passen wollen, aber die Türeingänge sind mit Mosaiken geschmückt, die sich auf die Fliegerei beziehen.

Haengendes Rad Ilyushin Il-62 “Lady Agnes”, ehemalig Interflug

Im Ort befindet sich auch eine Art Museum mit einer alten Ilyushin Il-62 der Interflug. Das Flugzeug steht im Grunde genommen am Dorfrand und eine lange Betonpiste fehlt hier. Interessanterweise ist dieses Flugzeug trotzdem nicht etwa hier auf dem Landweg transportiert worden (so wie die Flugzeuge das Museeum in Sinsheim erreichen), sondern wurde hier her geflogen. Es wurde auf einer Graspiste, die eigentlich viel zu kurz dafür ist, gelandet. 1989 war das. Es gibt dazu auf YouTube sogar Dokumentationen. Ich hatte eine solche vor einigen Jahren gesehen, als ich gelangweilt am zappen war, wusste also, das die irgendwo hier rumstehen muss. Es ist das wesentliche Exponat dieses Ortes. Lady Agnes heisst das Flugzeug übrigens. Benannt nach der Frau von Otto Lilienthal.

Haengendes Rad Nomen est omen

Was mir erst nach der Rückkehr aufgefallen ist: Ich bin im Grunde genommen mit den richtigen Felgen durch Stölln gefahren. Daran habe ich bei der Planung der Strecke von Berlin nach Lüneburg nun echt nicht gedacht. Die Laufräder, mit denen ich am Gollenberg vorbeigefahren bin, heissen “Lilienthal GX”. Das sind Gravel-Carbonfelgen aus Braunschweig. Die Fertigungsmethode kommt wohl aus dem Flugzeugbau, daher der Name.

Ich hatte mir die Felgen von Speer Laufraeder bauen lassen, weil ich auf einer Tour entlang des Elbeseiten-Kanal meine Werksfelgen eines Cannondale Topstone 1 völlig verbogen (starker Seitenschlag, starker Höhenschlag, eigentlich waren die Felgen gefühlt Möbiusbänder) habe und ich nicht riskieren wollte, das auf der langen Tour etwas ähnliches passiert.

Die lange Tour findet ja jetzt erst nächstes Jahr statt wegen allerlei Gründen, aber mittlerweile bin ich mir sicher, das die das auch mitmachen. Mittlerweile bin ich ein grosser Fan von einmal mehr ausgeben, aber dann Ruhe haben.

Ich bin extrem zufrieden mit den Felgen: Fehmarn, Emden und Berlin haben die Felgen trotz hohem Ladegewicht tadellos überstanden. Ich habe das Vorderrad Felge mal in meinen Zentrierständer gebaut (zum Messen, selber werde ich da nicht beigehen, ich habe keine Ahnung vom Zentrieren von Carbonfelgen) und für alle praktischen Belange hat sich da aus meiner Sicht nichts getan. Ich spreche hier mal eine Empfehlung sowohl für die Felgen als auch für den Laufradbauer aus. Ich werde mal sehen, das sie diesen Winter zur Wartung wegschicke.

Havelberg

Ich finde es ja immer einen wichtigen Moment, wenn man das erste mal sein Ziel auf einem Strassenschild liest. Man fühlt sich dem Ziel gleich näher.

Haengendes Rad Erstes Schild richtung Havelberg

Um so enttäuschender ist es dann aber auch, wenn die Zahl die man daneben liesst irgendwie grösser ist, als man sich es erhofft. Das ist insofern seltsam, als das man ja durch den Fahrradcomputer die Restdistanz ja sehr genau kennt. Aber irgendwie hat es an so einem gelben Schild noch mal eine andere Wirkung.

Irgendwann kam ich in Havelberg an. Es war schon eher später am Tag. Aber wenigstens vorm Ende des Checkins im Hotel. Aber ich musste erst noch mal die wohl namensgebende Anhöhe hochfahren. Wenn man von Osten reinfährt, findet man eine wirklich schöne kleine Altstadt unten am Hügel und einen Dom, der auf der Anhöhe stehend alles überragt. In dem Moment dachte ich bei mir so, das ich als Etappenziel mir den richtigen Ort gesucht habe.

Haengendes Rad Ortseingang Havelberg

Damit war die erste Etappe mit knapp 118 km geschafft. Ich fühlte mich ziemlich gut durchgebraten danach. Müde. Ich wollte unter die Dusche und dann ins Bett.

Unterkunft

Die Unterkunft war aus Radfahrsicht erstaunlich gut ausgestattet. Ich hatte mir ein Zimmer im Arthotel Kiebitzberg für die Nacht gebucht. Ein Fahrradunterstand in ausreichender Größe mit einer ganz brauchbar ausgestatteten Werkzeugecke mit ausreichend Steckdosen zum Aufladen. Die Zimmer supersauber. Vielleicht ein bisschen ab der Versorgungseinrichtungen. Der Weg zum nächsten Supermarkt war knapp ein Kilometer und dafür wollte ich das Fahrrad nicht mehr rausholen. Ich bin daher gelaufen. Aber ich würde das Hotel jederzeit empfehlen für Radreisende.

Apropos Hotels: Ich habe die ganzen Unterkünfte für die drei Radreisen vornehmlich dadurch gefunden, das ich bei einem grossen Hotelportal die Bewertungen nach Fahrrad durchsucht habe. Das funktionierte bisher erstaunlich gut.

Die zweite Etappe

Ich hatte ja schon ein schlechtes Gefühl, als ich morgens das Hotel verlassen habe. Ich hatte das Gefühl, das meine Planung ab hier für den Papierkorb sein sollte. Ich hatte die Berichte von den Wassermassen in Tschechien, in der Slowakei und in Österreich gesehen. So schnell würde zwar das Hochwasser nicht die Elbe herunter kommen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, das das Wasser auf einem niedrigen Stand sein würde.

Haengendes Rad Dom

Und ich sollte recht behalten. Aber erstmal wollte ich in Richtung Dom. Havelberg hat vielleicht keinen besonders schönen Dom. Aber so wie er dort in der Landschaft von weitem schon zu sehen ist, ist er doch ziemlich imposant. Ich hatte den Abend vorher nicht mehr so die Lust gehabt da hinzufahren, aber zum Dom zu fahren war gleich das erste auf meiner Liste für den Tag.

Haengendes Rad Die Altstadt von Havelberg vom Dom aus gesehen

Nachdem dieser Punkt durch war, fuhr ich also runter zur Altstadt, wollte dann weiter in Richtung Fähre fahren und sah dann ein kleines Schild. Die Fähre war ausser Betrieb. Verdammt. Ich habs mit meinen Gedanken wahrscheinlich heraufbeschworen.

Haengendes Rad Ausser Betrieb

Ich fand das ein wenig schade, denn die Fähre in Havelberg verwendet eine ungewöhnlich klingende Methode zur Fortbewegung. Sie kann normalerweise ohne Motor fahren. Der Trick funktioniert darüber, das die Fähre an einem langen Stahlseil im Fluss verankert ist. Um von einer Seite des Flusses zur anderen Seite des Flusses zu kommen, wird die Fähre um ihre Hochachse gedreht (was sich gieren nennt), das Wasser, das den Fluss herunterströmt, sorgt dann dafür, das die Fähre an das andere Ufer gedrückt wird. Will man auf die andere Seite zurück, dreht man die Fähre in die andere Richtung. Daher sind solche Fähren lautlos. Das Verfahren nennt sich Gierseilfähre. Bisher bin ich noch nicht mit einer solchen Fähre gefahren. Und leider hatte ich auf dieser Fahrt auch nicht die Gelegenheit dazu.

Problem war allerdings: Lautlos wäre die Fähre ohnehin nicht gefahren. Bei Hochwasser fährt die Fähre dann doch mit Motor. Und wir hatten Hochwasser. Und zudem war da das Schild, das die Fahre überhaupt nicht fahren würde.

Die Planung habe ich dan ad hoc geändert. Als ich das Schild gesehen habe, wollte ich schon direkt Richtung Wittenberge aufbrechen. Ich wusste das ich noch viele Kilometer würde fahren müssen. Der kürzeste Weg wurde gerade um 8 km länger. Aber was war da los, das die Fähre nicht fuhr. Ich war neugierig.

Wollte ich da noch weiter unnütze Kilometer drauf satteln. Ähm, die Antwort war „Ja!“. Ich war eben doch zu neugierig. Wie muss es da aussehen, das die Fähre nicht fährt? Ich bin dann wohlwissend, das mich die Fähre nicht über die Elbe fahren würde zum Anleger gefahren. Und irgendwie war mir dann völlig klar, warum die Fähre nicht fahren würde. Also wieder zurück:

Haengendes Rad Überfluteter Fähranleger

Auf der Rückfahrt zurück nach Havelberge traf ich auf zwei Radfahrer, die ich auf das Problem hingewiesen habe, aber die trotzdem weiterfahren wollten. Etwas später, stand ich wieder beim Schild, das mich auf die Fährensituation hingewiesen hat. Hier habe ich dann noch mal meine neue Strecke geplant. Bei der Gelegenheit sprach ich mit einer Wanderin, die sagte, das man ihr an der Tourismusinformation in Havelberg mitgeteilt hat, das das Getriebe der Fähre kaputt wäre und das eigentlich der Grund war, warum ich hier nicht über die Elbe kommen würde und nicht etwa das Hochwasser. Wobei, doch irgendwie schon, denn ohne Hochwasser hätte die Fähre kein Getriebe benötigt, da die Überfahrt ohne Motor erfolgt wäre. Aber ich fang schon weider mit Root Cause Analysis an.

Ich hatte danach zwei Möglichkeiten. Angeblich sollte die Fähre in Sandau noch fahren. Das berichtete die Wanderin. Sie hatte sich auch für diese Option entschieden.

Ich hatte mich aber gefragt, ob ich das Risiko eingehen wollte, denn die nächste feste Elbquerung ist dann wirklich ein ganzes Stück südlich. Oder ob ich nach Wittenberge fahre mit einer gesicherten Elbüberquerung. Dort befindet sich sowohl eine Eisenbahnbrücke als auch ein Brücke einer Bundestrasse. Ich habe mich letztlich für Wittenberge entschieden. Hätte ich gewusst, wie sich die Elbüberquerung dort gestalten würde, wäre ich wahrscheinlich nach Sandau gefahren. Aber manchmal ist es ganz gut, wenn manche Dinge nicht vorher kennt. So bin ich dann am rechten Ufer der Elbe weiter gefahren.

Haengendes Rad Es stand am Weg und wartete … die Wegwarte

Es brauchte eine ganze Zeit, bis ich letztlich über eine lange Fahrt auf dem Elbdeich in Wittenberge angekommen bin. Man sieht auf dem nächsten Photo ganz klein die Brücke, kann sich aber vielleicht schon die Länge der Brücke vorstellen. Es sind etwas über 1000 Meter.

Haengendes Rad Im Hintergrund die Eisenbahnbrücke von Wittenberge

Kurz bevor ich auf die Eisenbahnbrücke gefahren bin, habe ich mich ja noch über ein Graffiti amüsiert. Wobei, amüsiert ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber ich habe mich in meinen eigenen Vorurteilen bestätigt gefühlt.

Haengendes Rad Wenn sich die Rechten nicht immer selbst so sehr demaskieren würden

Meine Vermutung ist ja, das gerade jene Leute sich gegen Fremde stellen, die selbst eigentlich wenig Kontakt zu Fremden haben. Weil man vor dem Angst hat, was man nicht kennt. Und irgendwie sagt mir die Grammatik des ersten Sprayers, das diese Person eher selten Gelegenheit hat, sich in Englisch auszudrücken. Mit Fremden zu sprechen. Das was da gesprayed ist, das ist der deutsche Ausdruck direkt ins Englische übersetzt. Wort für Wort. In genau jener Reihenfolge.

Irgendjemand hat diese fremdenfeindlichen Kacksche*ss dann erweitert und in etwas freundlicheres geändert. Ist ein erprobtes Verfahren Erinnert mich dran, das mal jemand “Boykottiert und sabotiert die Volkszählung” in Dortmund im Westfalenstadion gesprüht hat. Vor dem Spiel Dortmund gegen den HSV (ja, schon wider Hamburg) hatte man das dann zu “Der Bundespräsident: Boykottiert und sabotiert die Volkszählung nicht” geändert.

Bei dem Schriftzug haben sich allerdings die Ändernden auch versehen. Am Ende sind beide Aussagen von der Grammatik/Rechtschreibung falsch. Aber wenigstens ist bei der von mir präferierten Aussage nur ein L zu viel. Der gern genommene Fehler, weil in Deutsch der „Willkommen“ ja auch mit zwei L geschrieben wird.

Ich fuhr kopfschüttelnd das Brückenportal hoch, fuhr auf den Fussgängersteg und wollte die Brücke schnell überwinden. Und bin praktisch sofort vom Rad gesprungen. Der Fussgängerweg, der an der Eisenbahnbrücke befestigt ist, ist nicht wirklich im besten Zustand. Es klapperte und knarzte laut und vernehmlich, als ich die ersten Meter über den Weg fuhr. Als würde hier gleich etwas einstürzen. Mein Vorhaben, dieser Überfahrt schnell hinter mich zu bringen war also gescheitert. Ich hatte wirklich die Hoffnung, die Brücke zügig hinter mich lassen zu können. Ich mag solche Stege nicht. Aber nein. Ich musste mein Fahrrad schieben.

Haengendes Rad Das bessere Ende Seite des Fussgängerstegs

Es wurde nicht viel besser. Nun fiel mir jetzt deutlich stärker auf, das man zwischen den Bohlen durchgucken konnte. Ich sah die Elbe unter mir. Und da war dann mein Endgegner. Stufen oder Flächen, durch die man den Boden sehen kann. Verdammt. Ich war ganz oben im Rockefeller Center. One World Trade war ich schon zwei mal. Alles kein Problem. Aber diese Brücke brachte doch ein wenig Angst hervor … um mal die deutlichste Untertreibung dieses Textes zu nutzen. Einen Kilometer Angst.

Ich wollte schon umdrehen, erinnerte mich aber daran, das bei Komoot vor der Brücke der Bundesstrasse gewarnt wurde. Es gibt dort keinen Fahrradweg und die Nutzung der Eisenbahnbrücke wäre zu bevorzugen. Um hier mal einen Erikativ zu verwenden: Schluck.

Also schob ich Meter für Meter mein Fahrrad über diese schmale Gasse. Ich merkte nicht mal, das ich mir die ganze Strecke über das Pedal in die Wade gehauen habe. Ich hatte einfach Angst. Ich glaube, ich hatte da einen höheren Puls als beim Radfahren. Ich fragte mich ernsthaft, ob ich das Fahrrad schnell genug loslassen könnte, um noch ans Geländer zu springen und mich dort festzuhalten.

Problem wäre gewesen: Mein Telefon hing an einem Halter am Fahrrad. Wie hätte ich also jemanden um Hilfe rufen können. Auf der Brücke wollte ich es aber auch nicht aus der Fahrradhalterung lösen, bei meinem Glück wäre es mir aus der Hand gerutscht. Also habe ich weiter einen Fuss vor den anderen gesetzt.

Wobei … am Anfang wäre es ja noch nicht so schlimm gewesen. Da ist die Elbe. Hätte bei all dem Knarzen eine Bohle nachgegeben, wäre ich im Wasser gelandet. Ich weiss nicht, wieviele Jahre ich hätte warten müssen, bis ich bei Lauenburg mein Rad aus dem Wasser hätte fischen können, aber das hörte sich erst mal nur nach einer Versicherungsmeldung an, die für Fragen sorgen würde. Und nicht allzuviel “Aua”.

Aber nach etwa der gefühlten Hälfte geht die Brücke dann über das Deichvorland. Da runterzufallen würde das Fahrrad zwar auch nicht überleben, aber es würde garantiert weh tun. Sehr wehtun. Irgendwann wurden dann die Bohlen auch besser. Als wären sie erst kürzlich ausgetauscht worden. Ich frage mich aber ehrlich, in welchem Zustand die ausgetauschten Bohlen waren, wenn die Bohlen von der Mitte der Brücke noch keinen Austausch verdient haben.

An dieser Stelle kamen mir dann tatsächlich zwei Radfahrer entgegen. Ebenfalls schiebend. Ebenfalls nicht besonders glücklich aussehend über diese Art Überwegung. Ich weiss nicht … hätte ich sagen sollen, das sie bisher auf dem besseren Teil der Brücke waren. Ich habe tatsächlich hier darauf geachtet, nicht auf die selben Bohlen zu treten, auf denen schon die beiden Radfahrer standen. Kein Risiko. Und dann kam ein Zug und ich fragte mich, warum mein Karmakonto offensichtlicherweise wieder mal bei 0 war.

Ich weiss, die Brücke wird mit Sicherheit sicher für die Benutzung gewesen sein, aber ich habe nun mal diese spezielle Art der Höhenangst und dann rast das Gehirn und macht sich viel zu viel Gedanken. Aber dieser Überweg ist Teil des Elberadwegs. Vielleicht könnte man da doch mal den einen oder anderen Euro investieren, um da einen Fussgängerweg zu schaffen, der etwas stabiler ist. Weniger Scheppert. Aber bei meinem Glück sind das dann Gitterplatten. Und dann fahr ich wirklich bis nach Dömitz. Denn diese Gitterplatten sind wirklich der absolute Endgegner. Die kann noch etwas weniger ab als Stege aus Bohlen, die genügend Lücke lassen, um den Boden zu sehen.

Grenze

Nach ein paar Kilometern auf der anderen Seite der Elbe habe ich dann auch verstanden, warum man vor der Nutzung der Strassenbrücke gewarnt wurde. Die Strassenbrücke ist etwas nördlich der Eisenbahnbrücke. Und Richtung Norden wollte ich, also musste ich zumindestens die Strasse kreuzen, die über diese Brücke führt. Und schon das hat ein wenig gedauert, bis sich eine Lücke zwischen den Autos und LKWs auftat. Ich hätte nicht vor diesen Fahrzeugen auf der Strasse fahren wollen.

Man ist hier aber immer noch soweit stromaufwärts, das man beim Überschreiten der Elbe nicht in Niedersachsen ist. Die Strassenbrücke in Dömitz würde einen schon von Mecklenburg-Vorpommern nach Niedersachsen bringen. Hier war es noch ein Stück bis ich zumindestens schon mal mein Heimatbundesland erreicht hätte.

Ich fand hier die Strecke zunehmend angenehmer. Es waren keine Strassen mehr auf denen ich gefahren bin, sondern oft lange leere Wege mit zwei Betonspuren zum Fahren. Es kam mir hier alles sehr ruhig vor. Ich bin kaum einem Menschen begegnet. Nur selten ein Auto, das mich überholt hat, nachdem ich aufs Gras ausgewichen bin.

Haengendes Rad Grenzturm

Fährt man dann weiter seines Weges, findet dann hier Relikte einer längst vergangenen Zeit. Grenzbauten. An einem Weg findet sich dann beispielsweise ein alter Grenztum, eine alte Grenzmarkierung.

Ich habe während der Pandemie oft in Hinblick auf die Corona-Massnahmen das Wort Diktatur gehört. Wenn man dann an diesen Relikten vorbeifährt. Überlegt, das die eigentlichen Grenzsicherungsanlagen heute nicht mehr sichtbar sind. Dann denkt man, das vieles was dort gesagt wurde, einfach nur völlig geschichtsvergessen war.

Mit Durchfahren dieses Reliktes war ich dann auch Niedersachsen. Den Schlenker über Schackenburg habe ich ausgelassen. Ich will den Ort aber unbedingt noch einmal anfahren. Etwas über 500 Einwohner hat der Ort nur, besitzt aber das Stadtrecht. Bardowick hat eigentlich von jeder der üblichen Supermarktketten eine Filliale und ist ein Flecken. Schnackenburg ist Stadt und hat nicht mal nen Supermarkt. Aber dank des bereits gefahrenen Umweges, wollte ich das nich auch noch einfügen.

Hoch

Irgendwann kommt man an einem sehr hohen Turm vorbei. Im Grunde genommen ist dieser Turm auch ein Relikt des kalten Krieges. Er steht in 66 Metern über N.N. auf einer Anhöhe, die am “Gipfel” selbst noch ein wenig höher ist. Der Turm ist dann weitere 344 Meter hoch. Als ich an dem Tag daran vorbei gefahren bin, wusste ich nicht so recht wofür der Turm da ist. Der Turm war sehr nah an der Grenze zur ehemaligen DDR, aber ich habe eher nicht vermutet, das dieser nur dem Senden von West-Fernsehen in die DDR diente.

Haengendes Rad Gartow 2

Ich habe nach meiner Rückkehr den Zweck des Turms recherchiert. Zum einen gab es bis 2009 hier zwei Türme. Errichtet wurde der noch stehende Turm Ende der siebziger Jahre. Er diente dem Aufbau einer Richtfunkverbindung nach Berlin. Vorher war die die Kommunikation mit Berlin deutlich aufwändiger gestaltet mit Überhorizontrichtfunk unter Ausnutzung der Reflektionen an der Troposphäre.

Wenn man da steht und ganz genau hinguckt, sieht man da eine Verdickung. Auch etwas besonderes: Das ist ein Betriebsraum in 324 Metern Höhe. Laut Wikipedia ist das der höchste geschlossene Raum in der EU.

Aber warum ausgerechnet Gartow? Mit etwas über 130 km war hier die kürzeste Strecke zwischen Westdeutschland und West-Berlin. Der Radiohorizont beträgt von Gartow aus gesehen 159 km ( 4.1*(sqrt(344+66)+sqrt(344)) , wenn man 0m über N.N. Fundamenthöhe auf der Gegenseite annimmt ) . Das Gegenstück in Berlin-Frohnau steht heute nicht mehr.

Zum ganzen Thema der Anbindung Westberlins an das Telefonnetz findet sich ein übrigens wirklich interessanter Artikel in der Wikipedia. In Rhinow war ich übrigens schon einen Tag vorher an einem Funkturm vorbei gefahren. Ich habe leider kein Photo davon gemacht. Aber auch dieser Turm wurde für eine Richtfunkstrecke nach West-Berlin genutzt. Diese Strecke hopste aber über mehrere Türme auf dem Gebiet der DDR und war wahrscheinlich noch mehr als die spätere Verbindung nicht unbedingt frei von Mithörern.

Gorleben

Manche Ort stellt man sich grösser vor als sie sind. Gorleben ist so ein Fall. Über viele Jahre meines Lebens war Gorleben in meinem Kopf. Ich bin seit vielen Jahren ausgesprochener Atomkraftgegner, ich kann mich noch erinnern, als uns in der Schule verboten wurde, die Rasenflächen zu betreten. Damals im Frühjahr 1986. Spätestens da war es mit Atomkraft für mich zu Ende. Auch wenn ich nicht alles verstanden habe, war der Grundtenor doch klar: Wenn man sich streitet, wo man Molkepulver lagern und entsorgen kann, kann daran nichts gutes sein.

Eine andere geschichte aus dieser Zeit war, das es bei Multi in Leer eine äusserst wohlschmeckende Erdbeermarmelade gab. Das Glas war ein wenig auffällig unauffällig. Es stand mehr oder minder auf einem meiner Erinnerung nach schweinchenrosafarbenen Etikett einfach “Erdbeermarmelade” drauf. Das interessante war das Etikett unter dem unauffälligen. Die Marmelade hat ein kyrillisches Etikett darunter. Aufgefallen war es einer Frau, die die Gläser zum Einmachen verwenden wollte und die Gläser gereinigt hat. Wir haben natürlich auch nachgeguckt … und hatten das selbe fremde Etikett darunter. Leute, die heute die Wiedereinführung von Atomkraft fordern, haben wahrscheinlich die Wogen dieser Zeit komplett vergessen. Aber Corona haben die Meisten leute ja auch schon vergessen und wundern sich, warum sie nicht mehr richtig auf die Beine kommen.

Egal … aber ich habe immer erwartet, das Gorleben ein grösser Ort ist. Die Medienpräsenz hat den Ort in meiner Vorstellung grösser gemacht, als er eigentlich ist. Gorleben ist in der Gegend nicht einmal die wichtigste Ortschaft. Gartow hat viel mehr Infrastruktur. Supermärkte. Einen See. Den Sender. Ich war nie bei den Protesten im Wendland. Als ich hier her gezogen bin, wars mit den Protesten mehr oder minder schon durch.

Haengendes Rad Gorleben

Dennoch: Fast jeder kennt Gorleben. Gartow hingegen eher weniger. Berichterstattung formt halt doch die Sicht, wie wir die Welt sehen, oder was wir von der Welt „kennen“.

Die letzten Kilometer

Bei Dannenberg habe ich dann wieder Anschluss an meinen Radfahrkiez gefunden. Der bis dahin östlichste Ort meiner Langstreckenradfahrerei war die Festung in Dömitz gewesen. Das hatte ich nun durch das Brandenburger Tor ersetzt, aber ab Dannenberg fuhr ich nur noch auf bekannten Strecken. Über Göhrde, das irgendwie nur für Mord und Totschlag bekannt zu sein scheint. Göhrdeschlacht, Göhrdemörder.

Dahlenburg kommt nicht viel später. Wenn man hier durch den Ort fährt, fühlt sich das nach der Strecke wie „bald ist es geschafft an“, obwohl es noch knappe 20 Kilometer sind..

Das schöne an dieser Strecke ist, das sie in weiten Teilen von Bäumen überschattet ist. Auch bei starker Sonne ist hier das Fahren deutlich angenehmer als in den freien Flächen Brandenburgs oder Sachsen-Anhalts. Man merkt, das das ganze Wendland an vielen Stellen doch noch eine etwas abseitige Gegend ist, wenn die Bundestrassen durch Wälder führen. Ich glaube diese Abseitigkeit hat auch dazu geführt, das man dachte, man könnte den Leuten hier ein Endlager unterschieben.

Angekommen

Am wirklich späten Nachmittag habe ich es dann nach Hause geschafft.

Lüneburg Lüneburg

Lüneburg war erreicht. Am zweiten Tag stoppte mein Kilometerzähler bei 143 km. Aber das ist nicht ganz Vollständigkeiten. Durch die Merkwürdigkeiten der Navigation meines Garmin musste ich zwei mal die Navigation neu starten, als ich umgeplant habe.

Bis zur ersten Neuplanung waren es 4,05 km. Bis zur zweiten Neuplanung 5,67 km. Und danach eben die 143,18 km. Insgesamt waren es also am zweiten Tag 152.89 km. Also nicht ganz das zweite Imperial Century dieses Jahr aber doch über 150km. Mit den 118,82 km des ersten Tages waren es also 271,71 km.

Die Radreisen dieses Urlaubs waren also ingesamt 904 km. Das ging schon einmal in die grobe Richtung dessen, was ich mir eigentlich vorgenommen haben für diesen Urlaub.

Ich war gepflegt fertig. Alle Müsliriegel war aufgegessen. Die Wasserflaschen bis auf Restwasser bis zur Bilge gelenzt.

Aber ich war glücklich, auch dieses Vorhaben geschafft zu haben. Auch wenn ich die Frage von meinen Eltern zugeworfen bekam, warum ich mir das antue, weiss ich, das ich das wieder machen werde. Vielleicht ist die Antwort auf die Frage: Weil ich es kann. Das Vertrauen in mich, die Ausrüstung, in das Fahrrad ist jetzt nach der dritten Fahrt hergestellt. Etwas das vielleicht auch dazu ein wenig beigetragen hat, das ich die eigentlich geplante Tour im Juni verschoben habe.

Ich werde es wieder machen. Nächstes Jahr. Immer ein Stückchen weiter.

Radreisen in 2023

Das Wetter beginnt nun schlechter zu werden. Ich weiss noch nicht so recht, ob ich dieses Jahr noch mal für eine längere Strecke losfahre. Ich habe aber zumindestens geschafft, meinen radfahrerischen Horizont deutlich nach Norden, Westen und Osten aufzuweiten. Nur der Süden fehlt mir. Zwar bin ich zumindestens schon mal weiter als Uelzen nach Süden gekommen, da Berlin wie erwähnt halt eher auf höhe Hannover liegt, aber irgendwie zaehlt das im Vergleich zu den anderen Himmelsrichtungen nicht so recht.

Haengendes Rad Das Rad mitten beim Abbau der ganzen Lasten

Der Süden wird vermutlich dem nächsten Jahr vorbehalten sein. Ich habe auch schon Pläne. Aber von denen werde ich erst schreiben, wenn ich das durchgezogen hab, was ich geplant habe. Das ist eine Lektion die ich gelernt habe.

Written by

Joerg Moellenkamp

Avid bicyclist, likes california, dreams to combine both.